Spanien,  Unterwegs

Artajona – El Cerco, Mittelalter pur!


Es gibt Städte, die empfangen ihre Besucher mit offenen Armen. Sie laden ihre Gäste ein zum Verweilen, zum Sehen, Genießen, Flanieren, Dinieren und Logieren. Und es gibt Artajona. Im Zentrum Navarras gelegen und doch abseits aller Pilgerwege und des Tourismus. Fremde sind hier nicht besonders willkommen. Das gibt mir schon das Wetter zu verstehen. Trotz des vermeintlichen, blauen Himmels, pfeift ein eisiger Wind ungeschützt über die flache Landschaft. Es ist bitter, bitter kalt.

Hier werden schon aus der Ferne klare Verhältnisse geschaffen. Die diffuse Silhouette eines wahrhaft wehrhaften Festungskonglomerats stellt eine deutliche Trennlinie zwischen sich und der Außenwelt her. Es ist El Cerco, der am besten erhaltene Festungsgürtel Navarras.
Eindringlinge wurden schon in der Vergangenheit und jetzt immer noch auf Distanz gehalten. Eine motorisierte Eroberung des Herzstückes von Artajona ist unerwünscht. Ich lasse deshalb mein Auto auf einem für diese kleine Ortschaft übergroß anmutenden Parkplatz vor der massiven Stadtmauer mit den Zinnen bewehrten Türmen allein zurück. Von dort sind es nur wenige Schritte bis zum San-Miguel-Tor, der Eintrittspforte in eine Welt der in Vormittags-Trägheit erstarrten Gassen und leer gefegten Plätze.

Eine mittelalterliche Win-Win-Situation

Ähnlich verschlafen wie heute, muss Artajona bis Ende des 11. Jahrhunderts auf jeden Neuankömmling gewirkt haben. Dies änderte sich erst, als der Erzbischof von Pamplona die Hauptkirche von Artajona dem französischen Domkapitel Saint-Sernin aus Toulouse zueignete. Was für die Einwohner zunächst als Schieberei anmutete (der Erzbischof war ebenfalls Franzose), stellte sich bald als wahrer Glücksfall für den bis dato unbedeutenden Marktflecken heraus. In enger Abstimmung mit dem König von Navarra begannen die Kanoniker aus Toulouse, umgehend nach ihrer Ankunft, mit der Errichtung des Festungsgürtels und weiterer Wohnstätten.

Es folgte der Ausbau der romanischen Kirche, als auch die Neuplanung eines eigenen Burg- und Wohnbereiches für den König. Es war ein profitables Geschäft für beide Parteien. Der Regent erhielt durch den Befestigungsring und die damit verbundene Wiederbelebung der Dorfgemeinschaft einen weiteren Sicherungsbaustein gegen die muselmanische Bedrohung aus dem Süden, während die französischen Mönche mit den Einnahmen aus dem Kirchenzehnten ihre Besitztümer vermehrten.

Bereits 1109 war El Cerco fertiggestellt, und die Untertanen des Königs bereit, sich dem Vordringen der gefürchteten Almoraviden entgegenzustellen. Dass es nie zu einem Angriff der Araber kommen und das Bollwerk erst 200 Jahre später die ersten kriegerischen Auseinandersetzungen sehen sollte, konnte niemand vorausahnen.

Das Königreich Artajona und die zwei Sanchos

In der Zwischenzeit entschied man sich für eine friedliche Nutzung der Vorzeigefestung. Artajona wurde dem frisch getrauten Königspaar García Ramírez el Restaurador (der Restaurator) und Doña Urraca von Asturien als Hochzeitsgeschenk überreicht. Diese politische Verbindung führte nach dem Ableben des Königs zu einem Kuriosum in der Chronik Artajonas.
Laut Testament erhielt Doña Urraca die Ortschaft mitsamt den umliegenden Weilern. Das Königreich Navarra hingegen bekam der legitime Sohn aus erster Ehe, Sancho VI. el Sabio (der Weise), zugesprochen.

So weit so gut. Die Komplikationen begannen erst, als Doña Urraca den Wunsch hegte, in die grünen Berge Asturiens zurückzukehren. Die karge Landschaft Navarras mit ihrer tristen, ockerfarbigen Grundschattierung deprimierte sie zu sehr. Kurzerhand vermachte sie Artajona nebst dazugehörenden Ländereien ihrem Bruder. Dieser hieß zufälligerweise ebenfalls Sancho und war kastilischer Thronanwärter.

Als solcher freute er sich über das ihm anvertraute Mini-Herrschaftsgebiet. So konnte er bis zur Thronbesteigung des großen kastilischen Reiches im Kleinen üben. Um standesgemäße „Königsluft“ zu schnuppern, erhob er sein Geschenk ab 1153 großspurig zum Königreich Artajona.

Skizze des Koenigreichs Navarra mit der Enklave Artajona und den beiden Koenigen

Zweifelsohne muss die königlich-kastilische Enklave ein Dorn im Auge des navarresischen Sancho VI. gewesen sein. Doch nicht umsonst wurde er der Weise genannt. Er ignorierte einfach das Pseudo-Königreich und konzentrierte sich auf wichtigere Staatsgeschäfte. Als es vier Jahre später dann soweit war, und der junge Sancho III. als el Deseado (der Ersehnte) zum König von Kastilien gekrönt wurde, verlor er das Interesse an seinem bisherigen Übungskönigreich Artajona. Großzügig überließ er es seinem Namensvetter und Neffen, dem König von Navarra.

El Cerco – gute Zeiten, schlechte Zeiten

Es folgte eine weitere Periode der Blüte und des Wachstums. Der Festungsgürtel wurde bald zu eng und im Süden entstand ein neues Siedlungsgebiet außerhalb des ummauerten Stadtkerns. Die ursprünglich romanische Kirche hatte einem weitaus größeren gotischen Bau zu weichen und der Verteidigungsbereich für den Wohnturm des Königs erhielt sein finales Aussehen.

Die Kirche San Saturnino von Artajona, Navarra

Allerdings kamen auch schwere Zeiten auf die Bewohner zu. Im Verlauf der nachfolgenden Jahre blieb Artajona begehrtes Streitobjekt von Königen, Adligen oder Kirchenfürsten. Missernten, Wirtschaftskrisen, die in Spanien wütende Pest, und dazu noch ein Bürgerkrieg, gaben sich die Klinke in die Hand und hinterließen unübersehbare Spuren der Zerstörung. Erst der Zusammenschluss Navarras mit Kastilien sorgte für eine dauerhafte Befriedigung mit dem ungewollten Todesstoß für das kulturhistorische Erbe.

El Cerco war plötzlich überflüssig geworden. Aber man konnte ja nie wissen. Um die Wachtürme weiterhin gut in Schuss zu halten, verpachtete man sie an Privatpersonen. Grundsätzlich eine kluge Entscheidung, doch man vergaß den Faktor Mensch. Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit, Trägheit, also das natürliche Sammelsurium menschlicher Schwächen und Unzulänglichkeiten, gewannen bald die Oberhand. Als sich zudem herauskristallisierte, dass die feindliche Bedrohungen der Vergangenheit angehörten, bestand kein Grund mehr, El Cerco in Schuss zu halten. So begann ein gnadenloser „Steinraubzug“ bis weit in das 19. Jahrhundert hinein.

Der Kampf ums Überleben

Aber wo kein Kläger auch kein Richter. Die Stadtverwaltung unterstützte ihrerseits sogar den Raubbau, um die Haushaltskasse zu schonen. Neue Häuser, eine Schule und ein Krankenhaus konnten durch die Abtragung einzelner Wachtürme und Teile der Stadtmauer kostengünstig hochgezogen werden. Bald standen von den ursprünglich 16 Wachtürmen nicht einmal mehr ein Dutzend. Der südwestliche Teil der Stadtmauer war komplett dem Erdboden gleichgemacht und der Bergfried dem kommunalen Missbrauch als Gemeinschaftskühlraum freigegeben.

Erst zu Beginn der 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts nahmen die verantwortlichen Politiker den angerichtete Schaden wahr und das Kultusministerium stellte finanzielle Mittel zur Instandsetzung zur Verfügung. Mit Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 rückte das Vorhaben selbstredend wieder in den Hintergrund. Weitere drei Jahrzehnte zogen ins Land, bis sich die Regierung Navarras dieser Aufgabe wieder annahm und, als erste Maßnahme, El Cerco für unantastbar erklärte. Fünf Jahre später begannen endlich die Restaurierungsarbeiten.

Reste des Donjons des Festungsguertels El Cerco

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Neun Wachtürme wurden wieder vollständig aufgebaut, ebenso die Mauer im Norden und Osten. Das südliche Zugangstor zum Stadtviertel Arrabal und der Mauerumlauf sind ausgebessert, die Wege gepflastert und das verbliebene Fundament des Donjons befestigt. Den Großteil der finanziellen Mittel steckte man allerdings in die Renovierung der Kirche San Saturnino, die sich in einem desaströsen Zustand befand.

Es ist nicht alles so, wie es scheint

El Cerco, wie er sich mir heute präsentiert, ist wahrhaftig grandios. Welchen Eindruck muss der Festungsgürtel mit den massiven 15 Meter hohen Wachtürmen und dem Mauerumlauf, der eine schnelle Kommunikation zwischen den einzelnen Verteidigungsabschnitten garantierte, erst im Mittelalter hinterlassen haben?

Wie eine Sirene auf Brautschau lockte die exponierte Hügellage ihre Opfer an. Die dicken Festungsmauern ließen wertvolle Schätze dahinter vermuten. Aber hätte der Feind sich, wider Erwarten, tatsächlich Zugang ins Stadtinnere verschafft, wäre die Falle zugeschnappt. Denn manchmal ist nicht alles so, wie es scheint. Ein Blick hinter die Kulissen des El Cerco verrät nämlich, dass die Wachtürme zur Stadtseite hin allesamt offen waren. Eine Kuriosität unter den Festungsanlagen des Mittelalters, aber ein wohldurchdachter, verteidigungsstrategischer Schachzug.

Hätten feindliche Truppen El Cerco überwunden, konnten sie sich innerhalb der Stadtmauern nirgends vor den Wachen verschanzen. Selbst ein Stürmen der Wachtürme wäre ein sinnloses Unterfangen gewesen, denn Plan B der Artajoner Verteidiger sah vor, die hölzernen Zwischenböden in Brand zu stecken, so dass die Wehrtürme vollkommen nutzlos waren.

Inzwischen bin ich auf meinem Streifzug durch die mittelalterliche Kulisse im äußersten Südwesten des Befestigungsringes angekommen. Diese abgelegene Platzierung war für den Bergfried bewusst gewählt. Der König, und später seine Statthalter, bestanden auf einer klaren Trennung des militärisch-herrschaftlichen Lebensbereiches vom dörflich-klerikalen Umfeld. Leider ist der stattliche Wohn- und Wehrturm, der im Mittelalter durchaus mit dem 35 Meter hohen Kirchturm der Wehrkirche, in optische Konkurrenz treten konnte, heute nur noch ein bedauernswerter Torso. Allein die aufgestellten Schautafeln vermitteln eine vage Vorstellung über die Ausmaße, die Ausstattung und den Charakter der Befestigung innerhalb der Befestigung.  

Öffnungszeiten werden überwertet

Um mehr zu erfahren, steuere ich das neu eingerichtete Tourismusbüro gegenüber der Kirche San Saturnino an. Allerdings, wie konnte ich nur so naiv sein zu glauben, dass mir im abgelegenen Teil der Zona Media die Türen des oficina de turismo offen stehen würden? Ein Uhren- und Öffnungszeitenvergleich besagt, dass dem so sein sollte. Aber offensichtlich sind der Konjunktiv und verschlossene Türen die einzigen Konstanten dieses Dienstleistungsgewerbes. Mich überkommt ein déjà-vue an meinen Besuch in Sangüesa.

Öffnungszeiten werden in Spanien generell überbewertet. Im spanischen Wortschatz ist dieser Ausdruck überflüssig. Eine vage Umschreibung des Sachverhaltes würde genügen. Etwa: Liebe Besucher! Die Chancen, dass Ihnen das Tourismusbüro zur Verfügung steht, betragen um 11 Uhr vormittags 60 %, um 11.30 Uhr 75 % und um 12 Uhr 99 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir um 13 Uhr schließen liegt bei über 100%.

Ich versuche es mit Humor zu nehmen, der jedoch unter dem weiterhin bitterkalten Wind, der sich auf dem offenen Gelände ungehindert austoben kann, förmlich einfriert.
Mit hochgeschlagenem Jackenkragen nehme ich Rilkes Pantherdasein auf:

„Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht“,

als völlig unerwartet ein mindestens 80 Jahre alter Kopf aus einer mauselochgroßen Fensteröffnung in der benachbarten Hausfront schießt. Wie ein Habicht auf der Suche nach Beute. Und ich bin eine leichte Beute für ihn auf dem menschenleeren Kirchenvorplatz.

Juan, der Retter meines Tages

Der Kopf gehört Juan dem selbsternannten Wächter des Platzes, und der sich davor abspielenden Ereignisse. Offensichtlich hat der kontaktfreudige Senior schon länger mein Auf- und Abtigern, sowie das erfolglose Rütteln an der Tür des Tourismusbüros beobachtet. Nachdrücklich erklärt er, dass dies nur freitags, samstags und sonntags ab 11 Uhr geöffnet sei. Zaghaft versuche ich meiner neuen Bekanntschaft zu erklären, dass heute Freitag ist und wir bereits 11 Uhr 20 haben. Fast ungläubig schaut er mich an und ich überlege, ob dies meiner mangelhaften spanischen Aussprache geschuldet ist. Erneut wiederholt er seinen Spruch, als auch ich meine Entgegnung. Mehrmals spielen wir uns die inzwischen auswendig dahingesagten Sätze wie die Bälle eines Tennismatches zu, bis es plötzlich in den verwaschenen Augen des Artajoner Urgesteins aufblitzt.

Jetzt bin ich mir sicher, dass auch Juan im Freitag angekommen ist. Ratlos zuckt er mit den Schultern, gibt aber zur Ehrenrettung seiner Heimatstadt kund, dass für das Tourismusbüro eine Dame aus Pamplona zuständig sei. Schon will ich mich von Juan verabschieden und unverrichteter Dinge Artajona den Rücken kehren, als er wild mit einer Hand gestikulierend auf ein sich näherndes Auto zeigt. Er strahlt über das ganze Gesicht und entblößt dabei ungeniert seine drei verbliebenen Zahnstummel. Juan fühlt sich als Retter meines Tages. Im Gegenzug hoffe ich, dass meine Anwesenheit für ein wenig Abwechslung in der endlosen Abfolge seiner gleichförmig dahingleitenden Stunden gesorgt hat.

Mit dem „oficina de turismo“ auf Kriegsfuß

Weit gefehlt, dass sich die Angestellte des Tourismusbüros für ihre deutliche Verspätung entschuldigt, noch sich unmittelbar meiner Anwesenheit annimmt. Nein, das morgendliche Öffnungsritual schreibt offensichtlich vor, für ein stilgerechtes Ambiente in dem modern ausgestatteten Raum zu sorgen. Señora Tourismusbüro packt also zuerst in aller Seelenruhe ihre mittelalterliche Kostümkiste aus und drapiert die purpur- und goldfarbenen Kleiderschätze wie auf einem Fasnachtsartikelbasar in der Raummitte. Nachdem auch ein zaghaftes Räuspern meinerseits ihrer Aufmerksamkeit entgeht, werde ich zickig. Ein wenig schikanös lasse ich mir den kompletten fremdsprachigen Bücherbestand vorlegen, um mich dann „nur“ für ein Hochglanzprospekt und zwei Postkarten zu entscheiden. Innerlich brodelnd, verzichte ich auf weiteres Lesematerial. Strafe muss sein! Mein Stolz lässt angesichts der ausgebliebenen Entschuldigung und des unsensiblen Kundenumgangs in diesem Moment keine Zugeständnisse zu.

Die Wehrkirche San Saturnino

Um meine Laune wieder auf Vordermann zu bringen, schaue ich mir zum Abschluss lieber das Ergebnis des vier Jahrzehnte dauernden Um- und Neubaus der Wehrkirche San Saturnino an.

Im ausgehenden 13. Jahrhundert strebte der Wohlstand Artajonas seinem Höhepunkt entgegen. Geld zu Geld gesellte sich gerne, so dass der Zustrom an Neuankömmlingen nicht abriss. Die alte romanische Pfarrkirche war zu klein geworden und musste dem Bau eines größeren Gotteshauses weichen. Symbolkräftig wählten die Geistlichen aus Toulouse dafür die höchste Stelle des ansteigenden Geländes aus. Und so ragt die Wehrkirche heute noch empor wie die Stein gewordene Inkarnation eines unerschütterlichen Glaubens.

Hauptschiff der Wehrkirche San Saturnino in Artajona

Der wuchtige, einschiffige Bau mit der monumentalen Frontseite, die hoch aufgeschossenen Seitenwände und der alles überragende Kirchturm waren mehr als nur zeitgemäße architektonische Standards. Es war ein Bekenntnis zum reinen, schnörkellosen Glauben. Allen voran das Wahrzeichen Artajonas, der Turm der „Dreifaltigkeit“: Spähturm im Mittelalter, Kerker in den darauffolgenden Jahrhunderten sowie Glockenturm bis in die heutige Zeit. Und in dieser Eigenschaft kann er mit einer weltweiten Einzigartigkeit aufwarten.

Glockenturm der Wehrkirche San Saturnino in Artajona

Als Zugeständnis an das relativ beengte Raumangebot, werden die Glocken in Artajona asynchron und andersherum geläutet. Die weit über 1000 Kilogramm schweren Glocken stehen zunächst kopfüber auf ihren Jochbögen, bevor sie durch einen kräftigen, von außen nach innen geführten Anschub in Gang gesetzt werden. Da sie noch von Menschenhand und ohne Mechanik bedient werden, kommen sie nur zu ganz besonderen Anlässen zum Einsatz. Nun, wenn schon die Glocken andersherum geläutet werden, vielleicht gehen hier in Artajona ja auch die Uhren anders und die Mitarbeiterin des Tourismusbüros hatte sich gar nicht verspätet, sondern war sogar ihrer Zeit voraus?

12 Apostel auf Abwegen

Ich schließe meinen Rundgang um San Saturnino auf der Frontseite ab und wundere mich über die Blindbögen zu beiden Seiten des Portals. Die normalerweise den Aposteln vorbehaltenen Stammplätze sind leer und verwaist. Hat sich das steinerne Dutzend etwa, mangels Verehrern, heimlich auf den Weg nach Olite zur Kirche Santa María gemacht?

Portal der Wehrkirche San Saturnino in Artajona. Die Bogenfelder neben dem Portal sind leer.

Oder steckt der Heilige San Saturnino, Missionar, Bischof und Märtyrer aus dem 3. Jahrhundert hinter der Verbannung der Apostel von der Kirchenfront? Könnte es sein, dass der Namenspatron der Kirche und Schutzpatron der Stadt keine Nebenbuhler duldet, damit sich der geneigte Betrachter ganz auf seine Person und seine Geschichte im Bogenfeld des Portals konzentriert?

San Saturnino in Bischofsmontur mit Mitra, Bischofsstab und Brustkreuz befreit ein von einem Drachen besessenes Mädchen von ihrem Peiniger. Angesichts dieses Wunders fallen sogar Königin Juana I. von Navarra und ihr Ehegatte, Felipe der Schöne, vor dem Bischof auf die Knie.
Im unteren Bildlauf durchlebt der Bischof sein Martyrium. Den heidnischen Bewohnern von Toulouse war der christliche Missionar ein Dorn im Auge. Da sie ihm weder Hexerei noch Magie nachweisen konnten, lauerten sie ihm eines Tages in einer dunklen Gasse auf, überwältigten und malträtierten ihn, fesselten ihn an den Schwanz eines Stieres, den sie anschließend durch die Straßen der Stadt trieben, bis er von dem wild gewordenen Tier zu Tode geschleift wurde.  

Detail des Bogenfelds der Wehrkirche San Saturnino in Artajona. Dargestellt ist das Martyrium des Heiligen und die Verehrung der Koenige von Navarra für den Schutzpatron

Sean Connery und Audrey Hepburn in Artajona

Es heißt für mich Abschied nehmen von El Cerco. Ein letzter Blick in die Runde: kein Feind in Sicht. Beruhigt kann ich mich an den geordneten Rückzug wagen. Die unmotivierte Angestellte aus Pamplona hat offensichtlich ihr Stundenpensum für den heutigen Tag bereits erfüllt und Juan, das scheinbar einzig verbliebene menschliche Inventar innerhalb des Cerco, hat sich wieder hinter die meterdicken Natursteinmauern zurückgezogen.

Alles ist wieder so, wie ich es vor knapp zwei Stunden vorgefunden habe. So, als ob auch ich nie hier gewesen wäre. So, als ob nie jemand hier gewesen wäre. Eine Geisterstadt, eine perfekte Filmkulisse. Zwei Hollywood-Legenden könnten davon erzählen. Audrey Hepburn und Sean Connery oder Robin Hood und seine Marian.


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